Konzentriert steuert Jagdfreund Wolfgang das kleine Boot an der Schilfkante entlang. Das Rudern ist für ihn ganz schön anstrengend. Die Wellen schlagen an die Bordwand. Ein kräftiger Wind weht aus Südwest. Ich sinniere und frage mich, ob es jemals windstill gewesen ist, wenn ich bei Wolfgang Gräfe in der Wesermarsch zu Gast war.
Während ich noch darüber nachdenke, reißen mich aus dem Schilf aufsteigende Krickenten aus meinen Gedanken. Rasant gewinnen sie an Höhe, kippen in den Wind und sind im selben Moment auch schon verschwunden. Wolfgang und ich schauen uns verdutzt an – fertig geworden ist keiner. “Die sind wirklich pfeilschnell”, murmele ich und halte meine Flinte bereit. Konzentriert starre ich nun auf das Schilf, das wir langsam rudernd passieren. Die Enten sitzen häufig an der vorderen Schilfkante oder noch viel lieber in den vielen kleinen Prielen, die landeinwärts führen. Dort ist keine Strömung, und sie können windgeschützt ruhen.
Die Jagd auf die kleinen, schnellen Flieger erfordert volle Konzentration. Ist das Auge des Jägers auf die größeren Stockenten “geeicht”, muss man sich erst wieder auf diese sehr viel kleinere Federwildart einstellen. Denn viele Jäger haben häufig das Gefühl, dass die Enten für einen sauberen Schuss zu weit entfernt sind, obwohl die Distanz nur 25 Meter beträgt. “Da!”, wieder gehen zwei Kricken, wie sie von unserem Mitjäger Uwe genannt werden, hoch. Im Aufsteigen schlage ich an, und der erste Schuss geht vorbei. Der Zweite lässt eine der beiden Enten weitab ins Schilf fallen.
Eine schwierige Aufgabe für die Hunde, ist der Schilfgürtel hier insgesamt fast 50 Meter breit. Wolfgangs Wachtelrüde “Johnny” gleitet sofort ins Wasser. Man merkt ihm seine Routine an, nimmt er doch gleich den Schilfgürtel auf der Höhe an, wo die Ente gefallen ist. Wir sehen nur noch hier und da die Halme wackeln. Jetzt muss man sich voll auf den Hund verlassen können, da der Jäger keine Möglichkeit mehr hat, auf den Hund einzuwirken. Der Rüde muss selbstständig arbeiten und den Bereich weiträumig absuchen. “Ich habe hier schon manch hochprämierten VGP-Hund versagen sehen”, verrät mir Wolfgang, während wir warten.
Das Apportieren in dem dichten Schilf ist absolute Schwerstarbeit für die vierbeinigen Jagdhelfer. “Johnny” sucht sich unermüdlich seinen Weg durch den Reetdschungel – das können wir anhand der wackelnden Halme sehen. Eine Minute wird zu einer halben Ewigkeit, während man hilflos auf den Hund wartet. Die Bewegung im Schilfmeer kommt näher, und Wolfgangs Gesicht strahlt Zuversicht aus. Er kennt seinen Rüden gut. Noch sind es etwa zwei Meter bis zur Reetkante. Zu sehen ist aber noch nichts. Drei Sekunden später schiebt sich eine Hundeschnauze samt einem braunen Etwas durch die vordersten Stängel. “Waidmannsheil”, ruft Wolfgang mir zu. Ich gebe das Waidmannsheil in Form von Lob sofort an den braven Rüden weiter. Ohne ihn hätten wir die erste Krickente des Tages auf keinen Fall gefunden. Mit gekonntem Griff hebt Wolfgang “Johnny” über die Bordwand des kleinen Fischerbootes. Der Außenborder wird wieder gestartet, und weiter geht es entlang der Schilfkante.
Meine Flinte habe ich bereits nachgeladen. Die von mir verwendeten Drei-Millimeter-Weicheisenschrote haben genügend Deckung für die pfeilschnellen, kleinen Enten, entsprechen sie doch in etwa Zweieinhalb-Millimeter-Bleischroten. Wolfgang beschleunigt das Boot etwas. Wir müssen uns beeilen, um noch rechtzeitig am ausgewählten Priel einzutreffen. Denn sind wir zu spät, ist durch die Ebbe der Wasserstand bereits so gesunken, dass wir mit dem Boot nicht mehr in den Schilfgürtel am Ufer kommen. Diese Vegetation ist jedoch die einzige Deckung weit und breit. Außerdem kann man bei Ebbe leicht auf Grund laufen. Es bleibt einem dann nichts anderes übrig, als auf die nächste Flut zu warten. Aussteigen und schieben geht nicht, versinkt man doch sofort metertief in dem weichen Untergrund. Um nicht unnötig viel Zeit zu verlieren, schieße ich nur noch auf Enten, die über der Wasserkante oder direkt über der Reetkante aufsteigen. So werden noch fünf der schnellen Flieger zu unserer Beute, bis wir am Priel ankommen.
Schnell verteilen wir die Löckvögel auf der Wasseroberfläche. Mit Schwung manövriert Wolfgang das Boot anschließend ins Reet. “Das war knapp”, stellt er fest. “Zehn Minuten später, und wir wären mit dem Boot nicht mehr ins Schilf gekommen”. Nachdem alle Attrappen verteilt sind und wir uns im Schilf eingerichtet haben, bleibt noch ein wenig Zeit, um zu entspannen. Ich greife in meiner wasserdichten Box nach der Thermoskanne. Wolfgang hat auch schon seinen Becher parat. An so einem kalten Herbstmorgen weckt ein schwarzer Tee wieder alle Lebensgeister. Da reißt uns das typische Gackern der Graugänse aus unseren Gedanken. Sofort greifen wir zu den Flinten und laden schnell auf Weicheisenschrote in dreieinhalb Millimeter um.
Der Blick geht gen Himmel. Wir versuchen, die Gänse frühzeitig zu erspähen – die Schwingenschläge sind bereits zu hören. Da tauchen über uns zwei Gänse auf. Drei Schüsse hallen durchs Reet, und die großen Grauen fallen getroffen zu Boden. Auch unsere Lockenten verfehlen ihre Wirkung nicht. Ein vorbeiziehender Schoof Pfeifenten kämpft sich gegen den Wind über den Strom zu uns und hält direkt Kurs auf unser Boot. Auf knapp 20 Meter ereilen drei von ihnen die Schrote. Sie fallen in das zurückweichende Weserwasser. Sofort schicke ich meine Wachtelhündin “Quennie”. Sie kämpft sich durch den bereits fünf Meter breiten Schlickabschnitt, bis sie das Wasser erreicht hat.
Auch “Johnny” ist wenige Sekunden später im Wasser. Das Aufnehmen der Enten ist reine Routine. Nur etwa drei Minuten später sind beide Hunde mit Beute bereits wieder im Boot. Wolfgang hat schon wieder Enten erspäht und beginnt sofort zu locken. Diesmal ist es ein Schoof Stockenten, der stromabwärts fliegt. Auch ich stimme jetzt in das Konzert ein. Siehe da, die Enten beginnen zu drehen und fliegen in Richtung unseres Lockbildes. Ohne die Attrappen wäre man hier jagdlich absolut verloren.
Ist es doch purer Zufall, wenn bei dem über einen Kilometer breiten Strom die Enten genau in Reichweite der Flinte am Boot vorbeistreichen. Kirren ist hier völlig unmöglich, da man aufgrund der Gezeiten nur an bestimmten Tagen rausfahren kann. Der zeitliche Aufwand wäre zudem viel zu groß. Mit dem ablaufenden Wasser streichen immer wieder Enten über die Schlickkante.Die Hunde haben reichlich Arbeit. Man merkt ihnen die Anstrengung langsam an. Es ist Zeit, eine Pause zu machen. Wolfgang verschwindet im Schilf und baut einen kleinen Grill auf. Schließlich ist der Tag ja noch lange nicht zu Ende.