Das Klingeln des Telefons reißt mich mitten aus dem Tiefschlaf. Eine leichte Grippe und die damit einhergehende Erkältung fordern ihren Tribut, weshalb ich mich nachmittags auf das Sofa gelegt habe. “Die Nilgänse sind da!” ertönt es am anderen Ende der Leitung. Innerhalb weniger Sekunden bin ich wie elektrisiert. “Sie sitzen auf der Stoppel vor dem alten Kieswerk. Gestern waren es 15, heute bereits knappe 40. Wir müssen uns aber beeilen, die Stoppel soll in zwei Tagen gegrubbert werden, ich bin vorhin bei dem Landwirt gewesen” fährt Willi fort. Meine Grippe und Erkältung sind sofort vergessen. Die Chance müssen wir nutzen, fährt es durch meinen Kopf. “Ok, ich bin morgen früh um 4 Uhr bei dir”. Es bleiben mir keine 12 Stunden mehr, um gesund zu werden, aber Gänsejagd ist die beste Medizin für jeden begeisterten Flugwildjäger. Insbesondere dann, wenn es auf den Exoten Nilgans geht. Sie unterscheidet sich erheblich durch ihre bunten Farben und die langen Latschen und den damit verbunden aufrechten Gang, der an Laufenten, unsere ursprünglich heimischen Gänsen, erinnert.
Voller Vorfreude mache ich mich sofort an die Arbeit und suche die Ausrüstung zusammen. Neben Gehörschutz, Gesichtsmaske und Handschuhen verstaue ich 2,7mm (Nr. 6) und 3mm (Nr. 5) Schrote in meiner Tasche. Die Gänseliege und insgesamt 50 FUD Lockvögel treten ihren Weg direkt ins Auto an. Auch bei der Gänsejagd gilt: “Viel hilft viel”.
Keine 10 Stunden später sitze ich bereits im Auto und der Weg führt mich in Richtung Weser. Wachtelhündin Quennie nutzt die Zeit und schläft im Fußraum auf der Beifahrerseite. Die 80km Fahrt vergehen wie im Flug und ich treffe pünktlich um 3:55 Uhr bei Willi ein. Die Fahrt ins Revier führt uns an zahlreichen alten Kiesgruben vorbei, die von allerlei Wasserwild frequentiert und als Ruhegewässer genutzt werden. Die Stoppel auf der die Gänse derzeit einfallen liegt Gott sei Dank weit genug von diesen Ruhegewässern entfernt. Dies verhindert, dass alle Gänse die ersten Schüsse mitbekommen und nicht mehr den Fraßplatz anfliegen. An der Stoppel angekommen, fahren wir direkt an den vorgesehen Platz auf dem Acker. Dies ist ein Privileg der sommerlichen Jagd auf Stoppelfeldern. Im Winter muss die Ausrüstung über weitere Strecken getragen werden, da die Felder bestellt sind. Jagdfreund Peter wartet bereits auf uns. Er hat seine Gänseliege bereits mit Stroh getarnt und sie ist im Scheinwerferlicht der Geländewagen nicht mehr als Fremdkörper zu erkennen.
Mit vereinten Kräften laden wir die beiden weiteren Gänseliegen aus und beginnen sofort mit dem Tarnen. Die dafür benötigten zwei Ballen Stroh hat Willi noch schnell am Vortag bei einem Landwirt besorgt. Das auf dem Acker vorhandene Stroh ist in aller Regel ungeeignet, da es klein gehäckselt wird. Während die anderen beiden noch mit dem Tarnen der Liege beschäftigt sind, widme ich mich bereits dem Aufbau des Lockbildes. Wir haben die optimale Situation, dass die erwartete Anflugrichtung der Gänse entgegensetzt zur Windrichtung ist. Dies bedeutet, dass man die Gänseschirme mit Nackenwind ausrichten kann und die anstreichenden Gänse direkt von vorne kommen. Neben knapp 30 Nilgänsen bauen wir auch noch einige Graugänse mit am Rand auf. Mit deren Auftreten ist ebenfalls zu rechnen, da am Vortag etwa 20 Stück auf der Stoppel saßen. Mit vereinten Kräften steht das Lockbild nach etwa 20 Minuten. Die Zeit drängt, hören wir doch bereits die ersten Krähen in der Luft. Diese fliegen zwar vor den Gänsen, meist bleibt aber nicht mehr viel Zeit.
Wenige Minuten später liegen wir in unseren Liegen und harren der Dinge, die da kommen werden. Wachtelhündin Quennie zittert bereits am ganzen Körper vor Aufregung. Die Luft ist still. Die Augen werden bei mir schwer. Jäh reißt mich der fauchende Laut einer Nilgans aus meinem Dämmerzustand. Sie ist bereits auf 40 Meter heran. Halb links von uns dreht sie in das Lockbild rein. Es bleibt keine Zeit richtig wach zu werden. Auf 20 Meter ereilen sie die 2,7mm Schrote. Das ist der Moment auf den Quennie gewartet hat. Mit sicherem Griff nimmt sie die Nilgans auf und trägt routiniert zu. Wenige Sekunden später sind die Liegen bereits wieder zugeklappt und nichts mehr verrät unsere Anwesenheit. “Nilgänse, 11 Uhr, 6 Stück, 300m” ruft Peter aufgeregt. Meine Augen spähen gespannt in die Richtung, sehen kann ich jedoch nichts. Ich starre weiter in die besagte Richtung. Da, hinter einer Baumgruppe tauchen sie auf. Die Entfernung beträgt nur noch etwas über 200m. Sie halten genau Kurs auf unser Stoppelfeld. Totenstille. So wie die fliegen, haben die unser Lockbild längst erspäht, geht es mir durch den Kopf. Ähnlich wie bei den Krähen setzt der Flügelschlag immer wieder aus und die Gänse sind mehr im Gleitflug. “Fertigmachen” rufe ich Willi und Peter zu. In bewährter Manier zähle ich von 3 bis auf 0 runter. Als bei 0 die Gänse auf 15-20 Meter sind, öffnen sich die Klappen der Gänseliegen und es fallen 4 Gänse mit 5 Schuss. Ich unterstütze die Hündin beim Apportieren. Ansonsten geht zu viel der wertvollen Zeit verloren. Kurze Zeit später warten wir wieder gespannt in unseren Schirmen.
Drei Enten überfliegen uns in größer Höhe Richtung Weser. Ansonsten herrscht absolute Stille. Die Zeit vergeht. Jäh reißt mich das Rufen der Graugänse aus meinen Gedanken. Sie sind noch sehr weit weg. Wenige Sekunden später erspähe ich den Flug am Horizont. Es sind zwischen 30 und 40 Stück. Sie fliegen genau auf uns zu, die Entfernung beträgt noch etwa 450m. Die Spannung steigt. Die Gänse beginnen jedoch zu taumeln und landen links vom Dorf auf dem Acker. ‘Schade!’, denke ich, ‘Aber abwarten, was der Tag uns noch bringt.’ Auf einmal geht es Schlag auf Schlag. Es kommen immer wieder Gänse, die auf dem besagten Acker landen. Willi erzählt, dass dieser Acker gestern Abend erst gedroschen worden ist. Wir müssen reagieren denke ich. Es sitzen mittlerweile einige Nil- und einige Graugänse auf dem Acker. Ein “Lockbild”, was extreme Lockwirkung besitzt. Zwei Schuss aus der Benelli lassen die Gänseschar in die Luft aufsteigen. Der größte Teil der Gänse fliegt links in Richtung Weser. Ein Flug Nilgänse dreht jedoch genau in unsere Richtung. Es sind noch ca. 250m. Die Gänse haben das Lockbild wahrgenommen und stehen genau drauf zu. “Nicht mehr bewegen” rufe ich den Mitjägern zu. Alle sind zur Salzsäule erstarrt. Von da an herrscht absolute Stille. Als die Gänse auf ca. 45 Meter sind beginne ich zu zählen. Sofort merke ich, wie Quennie zu zittern anfängt.
Sie weiß genau, dass sich gleich die Klappen öffnen werden. Die Spannung steigt auch bei mir. Werden die Gänse im letzten Moment doch noch was merken? Nilgänse sind im Vergleich zu Graugänsen jedoch deutlich weniger schlau. Die fauchende Lautäußerung einer Nilgans lässt mich fast vergessen das Kommando zum schießen zu geben. Die Gänse sind bereits sehr weit links im Lockbild. Die Schirme öffnen sich, allerdings ist es für mich als Linksschütze nicht so einfach ganz nach links zu schwingen. Des Weiteren ist es nicht ganz ungefährlich über die anderen hinweg zu schießen. Wir unterlassen so etwas generell aus Sicherheitsgründen. Während ich mich noch über das zu späte Kommando aufgrund meiner Träumerei ärgere, brechen bei Willi und Peter drei Schüsse und wenige Sekunden später sind zwei schwere Aufschläge zu hören. ‘Schön, wenn die Jagdkameraden den eigenen Fehler ausbügeln.’, denke ich. Es bleibt jedoch keine Zeit zum Nachdenken. Zwei Nilgänse trudeln bereits ins Lockbild. Sie drehen eine Runde und wenige Sekunden später hallen zwei Schüsse vom gegenüberliegenden Berg wider. Die Gänse fallen getroffen mitten ins Lockbild vor uns. Es folgen zwei einzelnen Gänse im Abstand von nur wenigen Minuten. Beide bleiben ebenfalls in unserem Lockbild. Es kehrt langsam Ruhe ein. Es sind keine Gänse mehr in der Luft zu hören und zu sehen. Als sich eine weitere halbe Stunde nichts mehr tut, beschließen wir für heute Schluss zu machen. Willi hat bereits seine Liege aufgeklappt, da lässt uns der fauchende Ruf einer Nilgans erstarren. “Wo sind die?” ruft Peter. Sie kommen diesmal aus einer komplett anderen Richtung. Wir können Sie von hinten nicht kommen sehen, ihre merkwürdigen Lautäußerungen verraten aber ihre Richtung. Die Spannung ist schier unerträglich. Kommen Sie oder nicht? Zu hören ist nichts mehr. Jetzt bloß nicht umdrehen und schauen. Diese Bewegung verrät uns sofort. Auf einmal sehe ich eine Bewegung links im Augenwinkel. Tatsächlich, da sind sie. Entfernung ca. 40m. Noch zu weit. Bloß nicht bewegen. Einfach abwarten. Sie drehen schön gegen den Wind in unser Lockbild. Zwei weiter vorne, eine weitere Nilgans wenige Meter dahinter. Als die vorderen auf 15m heran sind, gebe ich das Kommando zum Aufklappen. Die ersten beiden Gänse fallen mit zwei Schuss. Die zweite Gans erhält zwei Garben, fliegt jedoch getroffen weiter. Wir schauen hinterher und nach 80m stürzt sie in einen Rübenacker. Sofort schicke ich Quennie hinterher. Sie sucht eifrig in den Rüben und kommt nach kurzer Zeit mit der schillernden Nilgans im Fang an. Einfach herrlich diese Jagd auf die exotisch anmutenden Gänse. Ich überlege gedankenversunken, was eigentlich schöner ist: Eine morgendliche Gänsejagd oder eine erfolgreiche Verlorensuche mit dem eigenen Hund? Ich muss grinsen und finde sofort den Königsweg: Am schönsten ist doch immer noch Gänsejagd MIT erfolgreicher Verlorensuche mit dem eigenen Hund.